Sonntag, 23. Januar 2011

Der wirkliche Abschied

Wieder pünktlich auf Sekunden
stand ich oben an der Treppe,
hab' die Tür sofort gefunden,
wollte klopfen, kaum als hätte
ich getan, war sie schon offen,
leicht nervös stand er vor mir,
bat mich rein, ich trat entschlossen
in den Raum, dann grüßten wir.

Tranken bis zu letzten Schlucken
eine Flasche guten Wein,
so begann sein Kopf zu zucken
und geschah es: er schlief ein!
Ohne noch ein Wort zu sagen,
ging ich tief gekränkt zur Tür.
Ich hatt' geredet, lasst mich klagen,
über Werke und wofür?!

Nichts hat er sich angehört,
oh, welch Geister er beschwor,
und hat es mich noch mehr gestört,
als er dann den Verstand verlor!
Er ward erwacht von meinen Schritten,
die ich ging zur Treppe hin,
und er trat, ich muss sehr bitten,
weil ich wohl nicht geblieben bin,
mich von hinten mit dem Fuß
in ungebremsten Flug hinab,
dass ich erst bremste mit dem Gruß,
den mir der Treppenabsatz gab!

Dieser Mann kann noch so schreiben,
doch was ich verbreiten werd';
er wird nicht mehr Schreiber bleiben,
weil die Welt sich nicht mehr schert
um solch' brutalen Trunkenbold,
der selbst ein' Rezensent vergrault,
bis ich ihm tausendfach vergolt,
auf dass sein Werk zu Staub verfault!

© M. Reinhart 2011

[Eine andere Sichtweise zu den Schilderungen aus Eduard Mörikes “Abschied” (1837)]

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